Europa in Zeiten von Corona: Solidarität jetzt? Oder nationalistischer Egoismus?
Video Talk der Grünen
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Die Debatte läuft. Wie finanziert Europa die Beseitigung von Folgen der Corona-Krise und sollte Unterstützung mit dem Klimaschutz verknüpft werden? Die grüne Bundestagsfraktion organisierte dazu – im Anschluss an die Sitzung der europäischen Ministerpräsidenten im europäischen Rat – eine Online-Veranstaltung mit PolitikerInnen aus den eigenen Reihen und dem Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger.

Scheitert Europa?

Nimmt die Zustimmung für Europa ab, weil die EU bei der Bewältigung der Krise versagt? „In so einer Krise bräuchte es ein starkes Zeichen“, fordert Ska Keller (Fraktionsvorsitzende Grünen/EFA im Europäischen Parlament). Sie weist auf die abnehmende Zustimmung für die EU in Italien hin. Würde die Einführung von Coronabonds die Zustimmung zu Europa erhöhen? Und ist eine Einführung realistisch? Im europäischen Parlament gibt es keine Mehrheit für gemeinsame Coronabonds, wie das Abstimmungsergebnis zu einem Antrag der grünen Fraktion gezeigt hat.

Ska Keller macht einen wichtigen Punkt. Bei der Zustimmung zu Europa spielt die Solidarität eine wichtige Rolle. Die Debatte um Solidarität beziehungsweise mangelnde Solidarität hat bereits kräftig Fahrt aufgenommen. Es ist müßig darüber zu diskutieren, ob und warum Deutschland besser durch die Krise gekommen ist als andere EU-Mitglieder. Am Ende der Debatte wird Deutschland einen spürbaren Beitrag leisten. Kern der Debatte um europäische Solidarität ist die Ausgestaltung geeigneter Maßnahmen und die damit verbundenen Auswirkungen auf und die Risiken für den Bundeshaushalt.

Eurobonds oder Coronabonds

Gemeinsame Anleihen (Eurobonds oder Coronabonds) würden zu einem Zinsanstieg für Deutschland und im Gegenzug zu niedrigeren Zinsen für beteiligte Länder mit einer schlechteren Bonität führen. Hinzu käme das Haftungsrisiko für einen Kreditausfall. Dieses Risiko erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass eine zeitliche Begrenzung eines gemeinsamen Anleiheprogramms nicht durchsetzbar ist. Eine Verlängerung wäre für die dann verantwortliche Bundesregierung einfacher zu begründen als ein Ausfall und die damit verbundene Haftung. Grundsätzlich spricht gegen Coronabonds, dass die Einführung viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Notwendig ist aber eine schnelle Unterstützung einzelner Länder in den nächsten Monaten.

Der Vorteil von Coronabonds ist, dass die betroffenen Länder nach eigenem Ermessen und ohne unpopuläre Sparmaßnahmen oder Wirtschaftsreformen investieren könnten. Damit wird das Risiko vermieden, dass Europas Image leidet, wie das in Griechenland in Folge der Eurokrise der Fall war. 

Kredite

Mit Krediten ist Ländern mit einem hohen Schuldenstand nicht geholfen, weil diese Kredite die Bonität dieser Länder zusätzlich verschlechtern würden, so Bofinger. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Für Kredite spricht, dass es mit dem ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) bereits eine geeignete Institution zur Kreditvergabe gibt. Der ESM wäre schnell handlungsfähig und könnte besser ausgestattet werden, um höhere Kredite zu vergeben. An welche Bedingungen die Vergabe dieser Kredite geknüpft werden, entscheiden alle Länder, die Anteilseigner des ESM sind.

Damit ist das Problem einer weiteren Verschlechterung der Bonität einzelner Länder nicht vom Tisch. Vielleicht lässt sich der ESM aber auch umgestalten, um dieses Problem zu lösen? Bofinger spricht sich für eine europäische Institution als Träger der gemeinsamen Schulden aus. Damit werden die Schulden nicht den einzelnen Ländern zugerechnet.

Transfers

Eine Alternative zu Krediten sind Transfers. Damit würde der Schuldenstand einzelner Länder durch die notwendige Bekämpfung der Corona-Krise nicht noch weiter ansteigen. Transfers könnten zum Beispiel über den neuen europäischen Haushalt erfolgen. Das dürfte aber schwer zu verhandeln sein. Eine Einigung zum neuen EU-Haushalt ist bereits unabhängig von Corona längst überfällig. Der Vorteil wäre, dass alle Länder an der Finanzierung der Krise beteiligt wären.

Von allem etwas

Die Stärke der europäischen Gemeinschaft ist die Bereitschaft zum Kompromiss. Es ist ein Vorteil, dass Deutschland die Ratspräsidentschaft übernimmt und damit ein großes Interesse hat, bei der Bewältigung der Corona-Krise einen Erfolg zu erzielen. Das spricht für eine Lösung, die Anleihen, Transfers und Maßnahmen im Rahmen des EU-Haushalts verknüpft.

Klimaschutz

„Es ist wichtig, dass wir den Weg des Green Deals ambitioniert weiterbestreiten.“   Leonore Gewessler (Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie der Republik Österreich) begrüßt, dass der europäische Rat klargestellt hat, dass der Klimaschutz trotz der Corona-Krise nicht zur Disposition steht. Sollten die Investition – größtenteils – in grüne und nachhaltige Maßnahmen fließen?   

Ich bin da skeptisch. Vorrangiges Ziel der Investitionen muss es sein, die neuentstandene Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Das kann aber nur gelingen, wenn schnell Erfolge erzielt werden. Für Griechenland, Italien und Spanien ist zum Beispiel der Massentourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Dieser lässt sich aber nicht innerhalb kurzer Zeit klimafreundlich umgestalten. Es wäre aber überraschend, wenn nicht ein Teil der Unterstützung mit Klimaschutzzielen verknüpft wird.

Manöverkritik zur Veranstaltung

Franziska Brantner ist als europapolitische Sprecherin der Fraktion in den letzten Wochen öffentlich sehr stark wahrnehmbar in Coronabonds-Debatte gewesen. Darum hätte ich sie mir als Mitdiskutantin und nicht als Moderatorin der Veranstaltung gewünscht. Für die Einleitung wäre ein Diplomat aus Italien, Spanien oder Frankreich meine erste Wahl gewesen. Den Fraktionsvorsitzenden Toni Hofreiter hätte ich lieber in direkter Konfrontation mit einem Coronabonds-Gegner gesehen, eingebettet in diese Veranstaltung oder als Instagram-Live.

Sehr gut gefallen hat mir der hohe Informationsgehalt der Veranstaltung; die wirtschaftswissenschaftliche Perspektive, der Blick aus der Regierung von Österreich und ein paar Insides aus Brüssel.

Mehr zum Thema

In der jüngsten Folge des berlinbubble Podcasts geht es auch um die Coronabonds-Debatte. Ihr könnt die Folge hier anhören.

Matthias Bannas

Veranstaltungsvideo anschauen?

Das Video der Veranstaltung findet Ihr hier, auf dem YouTube-Kanal der grünen Bundestagsfraktion.

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